Christoph Krämer (IPPNW) hielt die Ostermarsch-Eröffnungsrede auf dem Kohlmarkt Braunschweig am 31.03.2018
Liebe Friedensbewegte,
vielen Dank für die Einladung, zum Auftakt unseres heutigen Ostermarsches hier auf dem Braunschweiger Kohlmarkt zu sprechen. Ich freue mich sehr, dass so viele von Ihnen und Euch hierher gekommen sind, denn wir stehen dieses Jahr vor großen Herausforderungen und Weichenstellungen. Wir stehen in großer Verantwortung gegenüber zahllosen Menschen, deren Heimatländer seit Jahren verwüstet wurden und auch zur Stunde weiter verwüstet werden mit lebhafter deutscher Beteiligung, mit Beteiligung der Bundeswehr, mit unseren Steuergeldern. In Verantwortung gegenüber Millionen von Menschen, die deswegen aus ihren Heimatländern fliehen - nicht nur, weil sie sonst getötet werden wie bereits 1/2 Million SyrerInnen seit Beginn des Krieges, der vom Westen gefördert und ganz wesentlich auch gemeinsam mit den Golf-Dikaturen bewaffnet wurde. Sondern sie fliehen auch vor der Zerbombung ihrer Stromnetze, ihrer Wasserversorgung, ihrer Lebensmittelversorgung, ihrer Schulen und Gesundheitseinrichtungen, vor der Zwietracht und dem Hass zwischen den Völkern, Kulturen und Religionen, deren Aussaat wir unter dem Deckmantel des sog. "Krieg gegen den Terror" seit 2001 erleben - in Afghanistan, im Irak, in Libyen und aktuell ganz besonders in Syrien. Oder unter dem Deckmantel von Idealen wie Menschenrechten, Freiheit und Demokratie, wenn bezahlte "Gotteskrieger" aus zahlreichen Ländern zusammengezogen werden, um ausgestattet mit westlichen High- Tech-Waffen, Geheimdienstinformationen und Millionen von Dollars sog. "friedliche Revolutionen" gegen missliebige Regierungen zu machen. Am Beispiel Syrien über "MOCs" (Military Operation Centers) im NATO-Land Türkei und weiteren vom Westen kontrollierten Nachbarländern wie Jordanien oder Irak.
Daher bitte ich Sie: Seien Sie auf der Hut, wenn jemand gewaltsame Mittel propagiert, um Menschenrechte zu schützen. Und wenn jemand Krieg nicht Krieg nennt, sondern Neusprech-Vokabeln dafür benutzt wie z.B. "Flugverbotszone". Und bitte bedenken Sie: Wenn jemand Menschenrechte und Demokratie im Mund führt, zugleich aber in Interessengefüge eingreift, dann geht es in Wirklichkeit meist genau darum: Um Interessen. Nicht um Menschenrechte.
Und bedenken Sie: Das kann dann auch gefährlich werden. Nicht nur weit weg von hier, für die Menschen in den betreffenden Ländern, sondern auch für uns hier. Denn wenn man einen "Regime Change" wie in Syrien plant, um Russland vom Mittelmeer zu vertreiben (seine einzige Mittelmeerbasis liegt in Tartus in Syrien), weil einem die eigene Dominanz in der Region nicht genügt und man sie zum Monopol ausbauen will, sollte man vorher über die möglichen Folgen nachdenken: Dass man damit letztendlich eine Konfrontation zwischen Atommächten betreibt. Und wie schnell diese außer Kontrolle geraten kann - was man u.a. am Abschuss eines russischen Kampfjets nahe der syrischen Grenze sehen kann, erfolgt im November 2015 von türkischem NATO-Boden aus. Es gehört viel Arroganz der Macht dazu, wenn man bei so etwas glaubt, da wird schon nichts passieren. Als hingegen am 02.03.18 Präsident Putin in einer Rede Szenarien der Verwüstung entwarf, die resultieren würden, wenn Russland sich zum Einsatz von Atomwaffen gezwungen sähe, war die Empörung groß. "Vergessen" wurde dabei zu erwähnen, wer an der neuen weltweiten (Atom-)Rüstungsspirale dreht. Die USA haben ein Abrüstungsabkommen nach dem anderen gekündigt und geben mit über 60 Mrd. US-Dollar pro Jahr mehr als 10 x so viel für Atomwaffen aus wie Russland (im Bereich der konvent. Rüstung gilt ein ähnliches Missverhältnis). Zwei Tage nach der Putin-Rede erfolgte dann die Attacke auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal - irrsinnigerweise mit dem sehr speziellen sowjetisch-russischen Nervenkampfstoff "Nowitschok". Und der Folge eines immensen diplomatischen Affronts gegen das Land, samt Aktivierung des NATO-Generalsekretärs. Ich frage Sie: Für wie schafsdumm halten Politiker und Medien uns eigentlich, uns glauben machen zu wollen, das Ganze ginge von Russland aus - gar von Putin? Nur dürfen wir, glaube ich, bei all ihrer Plumpheit nicht die Gefährlichkeit der Sache unterschätzen - die ja irgendwie an die Ermordung von Franz Ferdinand erinnert, die 1914 zur Auslösung des Ersten Weltkrieges benutzt wurde. Vielleicht sollten wir uns wenigstens den meist geradezu geifernden Wochenschau-Ton der ARD-Korrespondenten aus London verbitten?
Der Blick zurück zeigt nicht nur Negatives: Dass es der Friedensbewegung 2017 gelungen ist, den Atomwaffen-Verbotsvertrag bei der UNO auf den Weg zu bringen, ist ein grandioser Erfolg unserer jahrzehntelangen Arbeit. Nicht nur der Friedens-Nobelpreis dafür zeigt unsere Stärke und historischen Potenziale. Ich hoffe, Sie alle schöpfen Hoffnung und Selbstvertrauen daraus!
Wie 57 andere Länder muss nun auch Deutschland dem Vertrag beitreten. 7 Länder haben ihn sogar bereits ratifiziert!
Natürlich reicht der langfristige Verbotsprozess nicht. Auch die Atomkriegsgefahr hier und heute müssen wir bannen. Die Globalisierung lässt die Welt immer enger zusammenrücken, macht sie letztlich zu einem Dorf. In dem sich das Zusammenleben nicht mit Maschinengewehren und Bomben organisieren lässt, sondern mit Verständigung, Ausgleich und verbindlichen Regeln - also mit Völkerrecht. Also das Grundstück des Nachbarn zu respektieren und nicht mit Panzern über seinen Zaun zu walzen. Und nicht demjenigen, der das tut, Panzer dafür zu verkaufen - wie die Bundesregierung der Türkei und Saudi-Arabien. Sonst züchten wir selbst genau den Terror, den wir mit weiteren Waffen und Bundeswehreinsätzen dann wieder vorgeben zu bekämpfen.
Zur Respektierung des Völkerrechts gehört, das gezielte Ermorden von Menschen zu unterlassen, noch dazu ohne Gerichtsurteil - also die Anschaffung militärischer Drohnen und von anderem Roboter-Mordgerät zu stoppen.
Die Organisierung der Welt mit Waffen und Krieg entspringt mittelalterlichem Denken. Das wissenschaftlich-technische Niveau unserer Waffen wird weiter exponenziell steigen. Und ihr Nutzen auf null sinken. Unser Denken - und besonders das unserer PolitikerInnen - muss die Richtung ändern: Die Sicherheit der Zukunft kann nicht mehr gegeneinander konzipiert werden, nur noch miteinander. Wenn sie diese Richtungsänderung nicht schaffen und sich stattdessen der Korruption der Macht unterwerfen, können wir sie nicht mehr wählen!
Wählen können wir sie auch nicht mehr, wenn sie Militär- und Rüstungsausgaben auf die geforderten 2% unseres Bruttosozialprodukts erhöhen wollen. Und wenn sie die EU durch eine eigene Armee statt durch Arbeitsplätze, gute Schulen und Krankenhäuser aufrüsten. Ersteres ist totes Kapital und schafft keine Sicherheit, sondern Unsicherheit und Zerstörung. Und weitere Millionen von Flüchtlingen. Von denen wir immer mehr werden aufnehmen müssen, bis wir die Zerstörung ihrer Heimatländer durch Waffenlieferungen in Milliarden-Umfang und Bundeswehreinsätze mit Fake-Begründungen beendet haben.
Zu beenden ist auch die diplomatische und Wirtschaftsblockade gegen Syrien!
Und: Dringend ächten müssen wir endlich alle Stellvertreterkriege - also Kriege, die wir für eigene Interessen von anderen führen lassen, wie den in Syrien!
Dieser Ostermarsch ist ein Zeichen für unseren Willen zur Veränderung. Ebenso wie die heutigen Aktionen in mehr als 100 weiteren deutschen Städten. Ich bin gespannt, was wir am Dienstag davon in der Braunschweiger Zeitung lesen werden.
BZ-Bericht zum Ostermarsch (zahlungspflichtiges Lesen)