Bericht der Veranstaltung am 21.01.2021 "Sicherheit neu denken" – Vorstellung des Konzepts und Gespräch mit Ralf Becker und Ottmar von Holtz, MdB (Bündnis 90/die Grünen)



Nachdem Vorstandsmitglied Gabriele Canstein die Teilnehmer begrüßt hatte, stellte Ottmar von Holtz sein Tätigkeitsfeld als Vorsitzender des Bundestags-Unterausschusses zivile Krisenprävention, Konfliktbearbeitung und vernetztes Handeln vor. Er bedauerte, dass der Begriff und die Chancen der “zivilen Krisenprävention” in der Öffentlichkeit kaum bekannt seien, obwohl es mittlerweile eine große Szene an Organisationen gäbe, die sich in diesem Bereich erfolgreich betätigen. Darüber hinaus gäbe es viele Institutionen, die Friedensfachkräfte ausbilden, wie z.B. das Forum Ziviler Friedensdienst. Viele Programme wurden während der rot-grünen Bundesregierung erstmals gefördert bezw. eingeführt. Im Ausland sei das Ansehen Deutschlands sehr hoch. Die Bundesregierung müsse aber vielmehr tun, um die Friedensarbeit zu fördern, um damit auch international wahrnehmbarer zu werden.

Nach diesem Eingangsstatement führte Ralf Becker mit einer Power-Point-Präsentation in die Thematik ein,die an verschiedenen Beispielen zeigte, wieviel Geld für das Militär ausgegeben wird, das anderweitig dringend benötigt würde, um etwa die Klimakrise in den Griff zu bekommen, Fluchtursachen zu bekämpfen, Cybersicherheit zu stärken und die Demokratie resilienter zu machen.

Es geht darum, zu verdeutlichen, dass Militäreinsätze zur Erreichung politischer Ziele in der Regel sehr ineffektiv und mit großen negativen Nebenwirkungen behaftet sind. Konflikte, die gewaltsam gelöst werden, dauern in der Regel länger, fordern mehr Opfer und zeigen letztendlich wenig Erfolg (Studie Chenoweth/Stephan). Das Militär wird überschätzt in seinen Möglichkeiten, stabile Verhältnisse zu schaffen, wie das Beispiel Afghanistan zeigt. Die Militärs konnten keine flächendeckende Sicherheit herstellen, daher ist Entwicklungshilfe nur in kleinen Projekten möglich.
Es geht um die Entzauberung des Mythos der Wirksamkeit von Gewalt.

Als Verteidigungsministerin hat auch Frau von der Leyen eine andere Sicherheit angemahnt, Sicherheit, die etwa auf Diplomatie und gute Beziehungen zu den Nachbarstaaten beruht.

Angesichts dieser Fakten auf der einen Seite, und dem Anspruch, “Kirche des gerechten Friedens” zu werden auf der anderen Seite, hatte die Landessynode der Evangelischen Landeskirche in Baden 2013 ein Szenario in Auftrag gegeben, das “Wege eines mittelfristigen Umstiegs von der militärischen zur gealtfreien Friedenssicherung “ entwirft. Dieser Umstieg sollte bis zum Jahr 2040 erfolgen. Man orientierte sich dabei an der Entwicklung des Ausstiegs aus der Kohle- und Atomenergie. Das Szenario wurde 2018 fertiggestellt und veröffentlicht.

Die fünf Säulen des Konzepts sind:

1. Gerechte Außenbeziehungen (Klima, faire Handelsbeziehungen, Nachhaltigkeit, Ökologie);
2. Nachhaltige Entwicklung der EU-Anrainerstaaten: Sicherheitspartnerschaft mit der eurasischen Wirtschaftsunion (EAWU) und Berücksichtigung Afrikas;
3. Teilhabe an der internationalen Sicherheitsarchitektur (EU, OSZE, UNO, NATO);
4. Resiliente Demokratie (zivile Konfliktbearbeitung, Prävention, Mediation);
5. Konversion von Bundeswehr und Rüstungsindustrie (internationales THW, keine Rüstungsexporte, sozialverträgliche Konversion der Rüstungsindustrie;

Die Bundesregierung hatte 2004 einen Aktionsplan zur “zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung” verfasst. Ein Umsetzungsbericht erfolgte 2014 und berichtete über weit mehr als 30 Projekte, darunter einem Projekt zur Rohstoffpolitik, da es bei vielen Kriegen um Rohstoffe geht. Für fünf Minen in Ruanda wurde eine zertifizierte Lieferkette entwickelt.

(Mit einem Lieferkettengesetz, wie es durch das Engagement der Zivilgesellschaft jetzt in Kraft getreten ist, ist zumindest ein Anfang damit gemacht, die Produktion an Kriterien wie Umweltverträglichkeit, gerechte Arbeitsbedingungen und nachhaltige Produktionsverfahren zu orientieren. GC.)

Das Szenario ist mittlerweile in verschiedene Sprachen z.B. Niederländisch, englisch, russisch und polnisch übersetzt worden. In Großbritannien gibt es eine ähnliche Initiative. Zahlreiche Prominente und Organisationen unterstützen die Iniative. In Vorträgen wird das Szenario unter anderem in wissenschaftlichen Instituten, bei der Bundeswehr, der Polizei und bei der Münchner Sicherheitskonferenz vorgestellt und mit Vertretern der Bundeswehr und der Polizei diskutiert.

Ottmar von Holtz begrüßte die Absicht des Szenarios, nachhaltige Friedenspolitik zu fördern. Er ging konstruktiv-kritisch auf die einzelnen Aspekte des Szenarios, wie sie sich in den fünf Säulen darstellen, ein und hob die Bedeutung ziviler Akteure hervor. Auch die Stärkung der Polizei und die verbesserte Wirksamkeit der Justiz seien wichtig. Es gehe um die Stärkung der zivilen Anteile der Friedenspolitik.
Militäreinsätze seien nicht alle gleich, sondern müssen differenziert beurteilt werden (beispielsweise Afghanistan, Sudan). Viele Konflikte entzünden sich an den durch die Kolonialmächte gezogenen, willkürlichen Grenzen. Dadurch sei auch Deutschland in der Pflicht, frühzeitig und finanziell umfangreich Unterstützung in diesen Kontexten anzubieten und zu einer friedlichen Bearbeitung beizutragen, beispielweise durch Mediation.                         
Ottmar von Holtz erläuterte an einem Beispiel aus Kenia die Wirksamkeit von Mediationsfachkräften und hob die Rolle der Frauen in Friedensprozessen hervor. Er fordert massive Investitionen in zivile Krisenprävention (seine Partei hatte beantragt, eine größere Summe aus anderen Haushalten dafür zur Verfügung zu stellen, das wurde aber abgelehnt).

Im anschließenden Gespräch regte Ralf Becker an, gemeinsam zivile Alternativen in der Bevölkerung, in den gesellschaftspolitischen Themenfeldern und im Bundestag bekannt zu machen, um sie in der Öffentlichkeit wirksam zu machen.

Zum Abschluss bedankte sich Gabriele Canstein bei den Referenten, die sich ihrerseits für die Organisation des Gesprächs, und damit für die Möglichkeit des Gedankenaustauschs über das Szenario durch das Friedenszentrum bedankten.

(Dieser Bericht kann das Gespräch zwischen Ralf Becker und Ottmar von Holtz nicht vollständig wiedergeben, sondern nur versuchen, grobe Linien darzustellen. Gabriele Canstein)

Braunschweig, 09.02.2021


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