Vortrag von Dr. Stephan A. Glienke am 21.01.2016.

Im November 1959 eröffnete eine Gruppe von Studierenden um Reinhard Strecker die Ausstellung „Ungesühnte Nazijustiz“ in Karlsruhe. Vorausgegangen waren monatelange akribische Recherchen im Ausschuss für Deutsche Einheit in Ostberlin, später auch in Warschau und Prag. Mit Kopien von Dokumenten belegte die Ausstellung die Beteiligung von amtierenden Richtern und Staatsanwälten an rechtsförmigem Unrecht unter dem NS-Regime. Gegen 43 Richter wurden Strafanzeigen gestellt.

Die Ausstellung , die von Studenten ohne finanzielle Mittel zusammengestellt wurde, war für heutige Maßstäbe sehr einfach, aber sehr glaubwürdig. Sie wurde zwischen 1959 und 1962 in westdeutschen Städten gezeigt und löste eine enorme Pressereaktionen und intensive Diskussionen aus. Sie war die erste Ausstellung, die die personellen Kontinuitäten zwischen NS-System und der jungen Bundesrepublik aufzeigte und trug damit wesentlich zu einem historischen Lernprozess bei.

Dr. Glienke zeigte auf, unter welchen Schwierigkeiten, sich die Recherchen in einer Zeit des kalten Krieges durchführen ließen. Die DDR-Propaganda hatte das Thema seit 57 auf der Agenda, ein Anlass für Strecker, dem nach zu gehen.Er wurde immer wieder angefeindet, einflussreiche Leute warnten vor ihm,u.anderem die SPD-Ortsgruppen in Karlsruhe, so das er für seine erste Ausstellung in Karlsruhe in das Lokal Krokodil ausweichen musste. Tagsüber diente es als Ausstellungsort, abends wurde es zur Gaststätte. Als Streckers Petition an den Bundestag wirkungslos zu sein schien, wurde sie von studentischen Gremien, dem VDS und SDS *aufgegriffen : Parallel zur Ausstellung schickten Studenten der technischen Hochschule München Petitionen an alle Landtage, von wo sie nicht mehr ignoriert werden konnten.

Der Amtsleiter des Bundesgerichtshofes prüfte die Dokumente und befand in einem Interview, die Dokumente seien „ganz offensichtlich echt“. Das Interview wurde im Südwestfunk, dann in allen dritten Programmen veröffentlicht, der Spiegel berichtete, dann auch bundesweit die ARD. Das war der Durchbruch für eine weltweite Aufmerksamkeit. Ausländische Studenten trugen die Informationen in die Niederlande und nach London, wo Strecker später seine Ausstellung zeigte und eine Einladung ins Unterhaus erhielt.

Widerstände gab es auch in Berlin, die Justizverwaltung warnte vor dieser Ausstellung, so dass sie keinen anderen Ausstellungsraum fanden als die Springer-Galerie - trotz des großen Drucks der englischen und niederländischen Presse.

Am Ende gab es eine parlamentarische Diskussion im Bundestag, die Ermittlungen gegen die „Blutrichter“ mussten durchgeführt werden, wenn auch keiner verurteilt wurde. 1961 wurde das Gesetz zur vorzeitigen Pensionierung erlassen, dem 142 Richter folgten.

Obwohl er persönlich stark angefeindet wurde, hielt Reinhard Strecker an seinem Ziel einer kritischen Selbstaufklärung der Demokratie fest.Sein Freundeskreis unterstützte ihn und sorgte nachträglich für seine Ehrung mit dem Bundesverdienstkreuz. Seine Aktivitäten sind ein lehrreiches Beispiel für die Chancen, aber auch die Schwierigkeiten von Zivilcourage.

Bücher: Wolfgang Koppel (SDS): Ungesühnte Nazi-Justiz, Stephan Alexander Glienke: Die Ausstellung "Ungesühnte -Nazijustiz" (1959-1962). Zur Geschichte der Aufarbeitung nationalsozialistischer Justizverbrechen. Baden-Baden, 2008

Elke Almut Dieter