Vortrag und Diskussion mit Andreas Zumach - Videomitschnitt



Video zur Veranstaltung vom 15.3.2024 in der "Winterkirche" St. Magni (Saal des Kinderschutzbundes Braunschweig)
https://youtu.be/gs7wzagw0t4

 

Bericht von Elke Almut Dieter:

Das Friedensbündnis lud zu einem Vortrag von Andreas Zumach über den Krieg im Nahen Osten. Mehr als 80 Menschen kamen in den Saal des Kinderschutzbundes, Hinter der Magnikirche. Zumach verwies darauf, dass der Krieg gegen Gaza eine Vorgeschichte in der jahrzehntelangen Besatzung des palästinensischen Landes durch israelische Regierungen hat.
Die Abfolge von vier projizierten Karten bezeugt deutlich, wie sich der Anteil des Palästinensischen Gebietes seit 1946 bis heute dramatisch verändert hat .

Der Bevölkerungsanteil von ursprünglich 90% Arabern und 10% Juden, nach dem Teilungsplan der UNO 1947 auf 56% Arabern und 43% Israelis, verändert sich nach Kriegen der militärisch überlegenen Israelis auf 78% Juden. Nach dem Krieg 1967 besetzten die Israelis Palästina und die Golanhöhen, der Beginn der Besatzung Palästinas durch Israel. Die Palästinenser sprechen von der Nakba, der Vertreibung aus ihrem Gebiet, die Israelis fürchten eine Intifada.
 
Kriege und die Besatzungspolitik der israelischen Regierungen unter Netanjahu, die Siedlungspolitik im Westjordanland und in Ostjerusalem führten zu einem Flickenteppich von untereinander nicht verbundenen Landesteilen, die in Verwaltungszonen A, B und C mit unterschiedlichen Eigenständigkeiten aufgeteilt sind.
Die UN-Resolutionen 242 und 338, die Israels Besatzungspolitik als völkerrechtswidrig verurteilten, forderten ein Ende der Besatzung, scheiterten aber am Widerstand der USA – oder wurden schlicht ignoriert. Israels militärische Stärke ist begründet in der finanziellen Unterstützung und der Waffenlieferung von den USA und von Deutschland.

Es gab einige Lösungsversuche:

1990/91
unter Bush und James Baker in Genf (Rede Arafats) führten letzlich zum Oslo-Abkommen (Bill Clinton (USA), Rabin (Israel) und Arafat (PLO))

Zumach wies auf die Versuche hin, eine Lösung für das Problem in diesem Gebiet zu erreichen:

1990
verlangten Bush und James Baker von Israel Verhandlungen mit Palästina

1991
verlangte die UNO Vollversammlung in Genf Verhandlungen unter der Bedingung, dass die Palästinenser Israels Existenz als Staat anerkennen. Arafat hielt eine Rede für die PLO.

1993
Genf war die Vorbereitung für das Oslo-Abkommen mit Bill Clinton, PräsidentRabin von Israel und Arafat für die PLO. Das Ergebnis wurde mit überwältigender Mehrheit angenommen, aber wichtige Probleme wurden ausgespart.

Eine 1993
begonnene Reihe von Abkommen zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation und Israel zur Lösung des Nahostkonflikts. Der Friedensprozess bekam diesen Namen, weil die ersten geheimen Verhandlungen der Streitparteien PLO und Israel unter norwegischer Vermittlung. Am 13. September 1993 unterzeichneten in Washington die Außenminister Mahmud Abbas, Schimon Peres, Warren Christopher und Andrei Kosyrew in Anwesenheit von Jitzchak Rabin, Jassir Arafat und Bill Clinton die „Prinzipienerklärung über die vorübergehende Selbstverwaltung“ (auch Oslo I genannt). Diese stellt einen Meilenstein im Friedensprozess dar. Beide Seiten erkannten einander erstmals offiziell an. Die Israelis akzeptierten die PLO als offiziellen Vertreter der Palästinenser[Anm. 1], die PLO verpflichtete sich, aus ihrer Charta alle Passagen, welche die Vernichtung Israels als Ziel enthielten, zu streichen.

Außerdem enthielt das Abkommen die allgemeine Vereinbarung, die Verantwortung im Gazastreifen und im Westjordanland auf die Palästinenser zu übertragen und ihnen eine autonome Regelung ihrer Angelegenheiten zu gewähren. Umstrittene Themen wie der Status Jerusalems, die Flüchtlingsfrage oder die Siedlungen im Westjordanland wurden in dem Abkommen noch nicht behandelt. Details sollten in weiteren Verhandlungen festgelegt werden.

1995:
In Taba (Ägypten) unterzeichneten Ministerpräsident Rabin und Arafat von der PLO am 24. September 1995 das „Interimsabkommen über das Westjordanland und den Gazastreifen“ (auch Oslo II genannt). Die Palästinenser bekamen für etwa drei Prozent des Westjordanlands (mit über 80 % der palästinensischen Bevölkerung des Westjordanlandes) autonome Regierungskompetenzen zugesprochen. (Zone A) In etwa einem Viertel des Gebietes sollten sich die Palästinensische Autonomiebehörde und Israel die Verwaltung teilen (Gebiet B). In den restlichen 73% sollten die Israelis weiter allein die Kontrolle ausüben. (Zone C) Am 4. November 1995 wurde Ministerpräsident Rabin vom rechtsradikalen jüdischen Studenten Jigal Amir in Tel Aviv erschossen. Rabins Nachfolger wurde Schimon Peres. Peres führte die Friedenspolitik Rabins weiter und trat Anfang 1996 die Verhandlungen über den permanenten Status in Taba an.

Die Friedensbewegung in Israel, die Rabin und eine Zwei-Staaten-Lösung unterstützte, stieß auf den Widerstand der Likut-Partei unter Netanjahu... Netanjahu wurde 1996 zum Premier gewählt und regiert bis heute. Er spielte ein doppeltes Spiel, wollte die Zwei-Staaten-Lösung nicht, hat aber die PLO anerkannt, die Hamas als Terroristen bezeichnet und die finanzielle Unterstützung der Hamas durch Katar geduldet...
Die Reaktion der Palästinenser auf diese Enttäuschung war die 2. Intifada: Raketen auf israelische Städte. Die PLO verlor ihr Ansehen, die Hamas entstand als gewählte politische Nachfolgeorganisation. Arafat starb 2004 im Exil in Frankreich.

Ab 2000:
Verhandlungen in Camp David mit Bill Clinton, Barak und Arafat von der PLO scheiterten.

2003:
Die Genfer Initiative sollte die offenen Punkte des Oslo-Abkommens verhandeln: der Status Jerusalems, die Flüchtlingsfrage mit dem von der UNO 1951zugesicherten Rückkehrrecht und die Festlegung der endgültigen Grenzen. Der Entwurf des Abkommens sieht einen zukünftigen palästinensischen Staat in beinahe den gesamten Gebieten des Westjordanlandes und des gesamten Gazastreifens vor, dessen Hauptstadt Jerusalem sein würde. Von der Grünen Linie, der Waffenstillstandslinie zwischen Israel und dem Königreich von Jordanien 1949–1967, sollte die zukünftige Grenze der beiden Staaten, Israel und Palästina, nur in wenigen Punkten abweichen. Etwa 2 Prozent des Westjordanlands, in denen sich einige der größten israelischen Siedlungen befinden, sollten laut der Genfer Initiative dem israelischen Staat zugeschlagen werden, wofür das zukünftige Palästina mit einer ebenso großen Landfläche entschädigt werden sollte. Die Ergebnisse waren nicht bindend.

Das Flüchtlingsproblem:
Die aus Palästina vertriebenen leben in Flüchtlingslagern und überall in der Welt verstreut. Sie haben als Geflüchtete ein Rückkehrrecht, das Israel nicht anerkannt hat. Wieviel kann Israel aufnehmen? Wie umgehen mit der Flüchtlingsfrage?
Recht von Menschen auf Rückkehr in ihre Heimat ist 1951 in den Menschenrechten festgehalten. Der Status als Flüchtling ist vererbbar, so dass aus den ursprünglich 750.000 Flüchtlingen jetzt 5,3 Millionen geworden sind. Da eine Rückkehr so vieler Menschennicht machbar ist.

Zumach schlägt eine pragmatische Lösung vor:

- ein Teil der Geflüchteten bleibt in ihren Staaten und werden dort Staatsbürger
- Ein zweiter Teil (aus den Flüchtlingslagern) wird umgesiedelt in andere Länder und erhält dort die Staatsbürgerschaft
- der weitaus kleinere dritte Teil geht zurück nach Palästina, ca 700.000 Menschen.

Der UNRWA
Das Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten ist ein temporäres Hilfsprogramm der Vereinten Nationen, das seit seiner Gründung 1949 regelmäßig um drei Jahre verlängert wurde. Die Hauptsitze des Hilfswerkes sind in Gaza und Amman. Es betreibt eines der größten Schulsysteme im Nahen Osten. Jeden Tag erhalten ca. 500.000 Kinder ihre Schulbildung in einer der knapp 700 UNRWA-Schulen in der Region, deren Lehrplan jenem der staatlichen Schulen angeglichen wurde.

Die Zwei-Staaten-Lösung:
Bis zu Trump hat sich die USA und der Westen rhetorisch zu der Zwei-Staaten-Lösung bekannt, aber nichts dafür getan. USA und Deutschland haben Israel statt dessen mit Geld und Waffen unterstützt.Trump war der erste, der das aufgegeben hat, hat Jerusalem als Hauptstadt von Israel anerkannt, die amerikanische Botschaft dorthin verlegt.. Bis 2018 sprach die USA von "occupied palestinensian territories", Trump hat sie "disputed territories" genannt. Das hat die Ampelregierung jetzt auch gemacht. 2019 hat Trump einen Friedensplan vorgelegt, einen jüdischen Staat mit Erhalt der Siedlungen.
Parallel begann ein Prozess, die arabische Liga aufzubrechen. Es gab vier Abrahamsabkommen: mit Marokko, mit dem Sudan und mit Barein. Saudi Arabien war kurz davor, einen Abrahamsabkommen abzuschließen.

Nach Zumachs Einschätzung ist eine Zweistaatenlösung nicht mehr möglich. Die Siedler aus Westjordanland zurückzuholen, würde in einen Bürgerkrieg münden.

Zumach beurteilt die Ausgangslage so, dass die Gewalt der Hamas absehbar war. Er vermutet, dass die Hamas den Abschluss des Abrahamvertrages mit Saudi verhindern wollte. Er spekuliert, dass die Hamas Netanjahu eine Falle stellen wollte, mit der Brutalität des Überfalls Netanhahus Reaktion einkalkuliert hatte und mit der Reaktion der Welteine Entwicklung aus dem Status quo erreichen wollte. Er schätzte Netanjahu so ein, dass er gegen Rafah vorgehen wird, wie er es tat. Denn er will als Sieger aus dem Krieg hervorgehen. Seine Prozesse und die nicht zu Ende geführte Justizreform machen das in seinen Augen notwendig. Die Justiz hatte unliebsame Urteile zugunsten der Palästinenser gefällt.
Der Dreiklang der westlichen Erklärung: Israel kann bei den Bombardements das Völkerrecht nicht einhalten. Oberste Priorität hat die Zivilbevölkerung, die geschützt werden muss.


Im Vortrag gezeigte Karte

Andreas Zumach
https://www.friedenskooperative.de/referenten/andreas-zumach
https://www.blaetter.de/autoren/andreas-zumach
https://www.youtube.com/watch?v=2NCKpS0atNU (Interview Jung & Naiv)
https://versoehnungsbund.de/2023-beitraege-von-andreas-zumach

Göttinger Friedenspreis
https://www.goettinger-friedenspreis.de/

 

Andreas Zumach, freier Journalist, langjähriger UNO-Korrespondent der »taz« in Berlin, Experte für internationale Beziehungen und Friedensaktivist seit den 80er Jahren, (u.a. Sprecher des bundesweiten Koordinationsausschusses der Friedensbewegung), Mitglied im Koordinationskreis von »Sicherheit neu Denken«.

Veranstaltet wurde der Vortrag vom Friedenszentrum Braunschweig e.V. in Zusammenarbeit mit IPPNW Regionalgruppe BS, Friedensbündnis BS und der Kirchengemeinde St. Magni