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DISKUSSION aktuell:
Ende September/Anfang Oktober 2020 (Friedenszentrum)  - von Ingeborg Gerlach


Anfang September brannte das Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos ab - oder es wurde abgebrannt von Menschen, die verzweifelt und zermürbt waren durch jahrelanges Warten in drangvoller Enge. Noch am selben Tag und an den unmittelbar folgenden Tagen meldeten sich Stimmen, die eine sofortige Beendigung der menschenunwürdigen Zustände in Moria forderten. Menschenrechtsgruppen und Vertreter/innen linker Parteien verlangten, Deutschland müsse, wenn nicht alle, so doch eine Tausend Geflüchtete aufnehmen, die hilflos auf der ostägäischen Insel umherirrten. Verschiedene Bundesländer und über hundert Kommunen, darunter auch Braunschweig, die sich zum „sicheren Häfen“ erklärt hatten, riefen dazu auf, ohne langwierige „europäische“ Verteilung die Obdachlosen (etwa 13000) ins Land zu holen. Zunächst einmal eisernes Nein des Innenministers. Frau Merkel schwieg sich aus. Auch die übrigen europäischen Staaten schwiegen zur „Schande Europas“ und ließen die griechische Regierung handeln. Inzwischen hat diese unter Mitwirkung der EU auf Lesbos ein neues Zeltlager für 10 000 Menschen errichtet, in dem die .Geflüchteten den Winter verbringen sollen. Nicht alle: Deutschland übernimmt zunächst 400 unbegleitete Kinder und Jugendliche und möchte später noch einmal 1500 Geflüchtete ins Land holen, Frankreich angeblich 500.


Was wird aus den übrigen? Und, nächste Frage, was wird aus den Geflüchteten auf der Insel Samos, wo, laut Hilfsorganisationen, „abscheuliche Zustände“ herrschen sollen: „In dem Camp, in dem sich 4500 Menschen wie Tiere auf engstem Raum aneinanderdrängen müssen, leben 1000 Kinder im Müll, zwischen Ratten und Skorpionen“ (Quelle: Frankfurter Rundschau vom 2.10. 2020). Nun hat die EU ein neues Kapitel ihrer Flüchtlingspolitik aufgeschlagen. Die verhasste Dublin- Regelung bleibt. Doch damit die Geflüchteten nicht zu lange auf den Inseln ausharren müssen, sollen an der Peripherie (wo ist das?) Zentren errichtet werden, die im Eilverfahren über Aufnahmeanträge entscheiden sollen Da die Einzelfallregelung entfällt, wird die Zahl der Ablehnungen höher sein als bisher. Und damit die europäische Solidarität doch noch zum Zuge kommt, sollen diejenigen Staaten, die keine Flüchtlinge aufnehmen wollen, für deren rasche Abschiebung sorgen. Ein neues Wort machte die _Runde: Diese Staaten werden „Abschiebepaten“ – ein Ausdruck, der von Orwell stammen könnte. Wenn das „Unwort des Jahrs“ nicht abgeschafft wäre, hätte diese „Patenschaft“ gute Aussichten auf den ersten Preis.


Ingeborg Gerlach