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Am 30. April 2023, war Andreas Zumach zu Gast beim Politischen Frühschoppen in St. Albertus Magnus, Braunschweig.
Der pax christi Diözesanverband Hildesheim und das Dominikanerkloster St. Albertus Magnus in Zusammenarbeit mit der katholischen Erwachsenenbildung hatten eingeladen.

Andreas Zumach, Freier Journalist, langjähriger UNO-Korrespondent der »taz« in Berlin, Experte für internationale Beziehungen und Friedensaktivist seit den 80er Jahren, (u.a. Sprecher des bundesweiten Koordinationsausschusses der Friedensbewegung), Mitglied im Koordinationskreis von »Sicherheit neu Denken«.

Inhaltliche Zusammenfassung von Elke Almut Dieter ergänzt mit Zitaten aus dem Vortrag, und aus der Diskussion (Rolle der UNO bei Friedensgesprächen)


Zeitenwende??   pánta rheí


Platons Zitat "Pánta chorei kaì oudèn ménei "ist die knappste Formulierung der Flusslehre Heraklits, die besagt: „Alles fließt und nichts bleibt; es gibt nur ein ewiges Werden und Wandeln.“

Der von Bundeskanzler Olaf Scholz benutzte Begriff Zeitenwende entspringt einer selektiven, eurozentrischen Wahrnehmung. Vor allem der globale Süden denkt anders.


"In weiten Teilen des „Restes der Welt“, vor allem im globalen Süden unserer Welt, wird das, was da jetzt seit 14 Monaten als Krieg passiert in Europa, NICHT als eine Zeitenwende wahrgenommen. (...) Da wird dann auch gesagt: Zeitenwende - sowas wie der Krieg bei euch, das erleben wir seit Jahrzehnten immer wieder. zum Beispiel: Irakkrieg 2003, von den Amerikanern und Briten geführt mit über einer Million Tote, bis heute nicht wenigstens mal als Bruch der UNO-Charta auch festgestellt.
(...)
und diese Doppelstandards, die die westlichen Regierungen in den letzten 30 Jahren angewandt haben, immer wieder, wenn sie eben schwere Kriegsverbrechen, Angriffskriege aus dem eigenen Lager NICHT verurteilt haben, so wie das notwendig gewesen wäre, und wie das jetzt im Fall von Putins Angriffskrieg zu Recht geschieht, (...) diese doppelten Standards und diese Selektivität bei der Anwendung der so wichtigen Völkerrechtsnormen, also Kriegsverbot in der UNO-Charta und Menschenrechtsnormen (...) hat uns allen dann, (...) kollektiv als der Westen (...), unglaublich viel Glaubwürdigkeit gekostet im Rest der Welt."


US-Präsident George Bush verwendete den Begriff Zeitenwende 2001 zur Rechtfertigung seines Krieges gegen den Terror, der gemessen an der Zielsetzung gescheitert ist. Bis dato gültige Normen, v.a. Völkerrechtsnormen, wurden in Bushs Zeitenwende in Frage gestellt, Kritiker wurden niedergebrüllt. 

"(...) George Bush hat nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 einen Tag später eine Rede gehalten, die in weiten Teilen so klang wie die Rede von Olaf Scholz am 27. Februar letzten Jahres. Auch Bush hat damals eine Zeitenwende behauptet. Er hat gesagt: jetzt ist nichts mehr so wie vorher ,und jetzt gelten auch bestimmte Normen nicht mehr - womit er vor allem völkerrechtliche Normen nannte, die die USA im dann beginnenden Krieg gegen den Terrorismus kräftig auch verletzt haben.(...)"

(...) Und wenn man dann noch auch bitte nicht vergisst, dass dieser damals ausgerufene Krieg gegen den Terrorismus, gemessen an den damals verkündeten Zielsetzungen, nämlich diese neue Bedrohung des islamistisch gerechtfertigten Terrorismus zu überwinden und aus der Welt zu schaffen, dass dieser Krieg gemessen an dieser offiziellen Zielsetzung, ja gescheitert ist. Auf dem ersten Schlachtfeld Afghanistan ist das sehr offensichtlich. Er ist im Irak gescheitert. Er ist in Lybien gescheitert. Er scheitert aktuell in Mali."

Zur Behauptung der Pazifismus sei ja nun endgültig gescheitert:

"Das ist eine törichte Behauptung, mit Verlaub, weil es noch niemals in der Geschichte irgendwann pazifistische Politik gegeben hat. (...) Von den 193 UNO-Mitgliedsstaaten gibt es gerade mal einen, Costa Rica, der ganz bewusst auf die Vorhaltung von Streitkräften und von Waffen verzichtet. Alle anderen halten militärische Instrumente, Armeen, Waffen für offensichtlich unverzichtbar, auch für einen unverzichtbaren Teil der eigenen nationalen Souveränität, so ähnlich wie die Flagge und die Hymne."

 

Die Friedensbewegung von den 70er und 80er Jahren erwirkten 1983 den NATO-Doppelbeschluss (bis 1988 weitere 1400 atomare Gefechtsköpfe aus Westeuropa abzuziehen und die Gefechtsköpfe der neuen Mittelstreckenwaffen nicht zu vermehren).

In der heutigen Kriegssituation wird der Slogan „Frieden schaffen ohne Waffen“ als eine Unmöglichkeit angegriffen.
Der Begriff umfasst mehr:  die Verhinderung eines Krieges durch das Implementieren ziviler Elemente, das rechtzeitige Erkennen eines Konfliktes, Verfahren, einen Konflikt nicht eskalieren zu lassen und … nach einem Konflikt zu einer innerstaatlichen Versöhnung beizutragen und demokratische Strukturen aufzubauen.

"„Frieden schaffen ohne Waffen“ meinte IMMER die Forderung, dass wir endlich national in Deutschland, auf der Ebene der Europäischen Union, auf der Ebene der gesamten europäischen Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, und global auf der Ebene der UNO, dass wir endlich all die erforderlichen zivilen Instrumente zur Bearbeitung von Konflikten herstellen, stark machen und dann auch rechtzeitig einsetzen, um die Eskalation von Konflikten, die es ja immer geben wird, auf die Gewaltebene zu verhindern.

Das fängt an mit der Fähigkeit, Konflikte rechtzeitig zu erkennen und dann mit zivilen politischen wirtschaftlichen diplomatischen Mitteln die Eskalation auf eine Kriegsebene zu verhindern. Wenn das doch nicht gelingt, dann mit eben zivilen Mitteln für einen Waffenstillstand zu worten und für Verhandlungen um die ursächlichen Konflikte zu lösen.

Und dann natürlich die ganze Nachphase nach einem Gewaltkonflikt, also innnergesellschaftliche zwischenstaatliche Versöhnung wieder aufbauen und so weiter.

Das alles meinte und meint die Forderung „Frieden schaffen ohne Waffen“ und wenn es eines Beweises bedurft hätte, dass diese Forderung so dringend und so aktuell und so richtig ist, wie nie zuvor seit 1945, dann ist es für mich dieser Ukraine-Krieg."

 


Der Ukrainekrieg verhindert das Erreichen der Pariser Klimaziele, verschärft die Ernährungskrise und bedroht durch die Verteuerung der Energie kleine Staaten des globalen Südens existenziell.

"Allein deswegen weil etwa ein Land wie Ägypten, das bis zum Kriegsbeginn 87% seines Getreidebedarfs aus der Ukraine bekam, das jetzt nicht mehr bekommt, wegen der russischen Blockade der Häfen am Asowschen Meer. Aber auch das, was uns, bei uns viele Menschen trifft, die Verteuerung der Energiepreise, trifft Menschen in Ländern des globalen Südens noch viel stärker, da ist es tatsächlich eine Überlebensfrage."

 


Wie den Krieg beenden? Wie können wir ein gedeihliches Nebeneinanderleben mit Russland auf unserem gemeinsamen Kontinent herstellen?

"Egon Bahr hat vor 50 Jahren auf dem Höhepunkt des damaligen Kalten Krieges 1973 gesagt:  „eine Friedens- oder Sicherheitsordnung mit der damaligen Sowjetunion oder in Europa kann es nur mit der damaligen Sowjetunion geben nicht ohne sie und schon gar nicht mal gegen sie. Das gibt uns einfach schon die geographische Lage vor. Wir können ja die Sowjetunion nicht aus diesem eurasiaschen Kontinent irgendwo herausschmeißen“, Und Bahr hat hinzugefügt: „diese Lage bedeutet auch möglicherweise einen Interessenunterschied oder gar -Konflikt mit den USA, die 5 1/2 Tausend Kilometer weiter westlich liegen und dazwischen ist ein großes Meer.“ Und diese Sätze von Egon Bahr von 1973 gelten natürlich heute unvermindert genauso für Russland. "

 
Bezüglich des Ukrainekriegs beherrscht das Pro und Contra von Waffenlieferungen und Verhandlungen die Presse. Es macht skeptisch, dass politische und militärische Ziele nicht getrennt werden. Ist es realistisch, dass die Russen hinter die Linien von 24.2.2022 zurückgehen?
Die Rückeroberung von der Krim und dem Donbas sind öffentlich verkündete festgelegte Ziele von Selenskyi. Der mit den weitesten Zielen bestimmt die Debatte und schließlich droht die Debatte zu gipfeln in der Forderung nach westlichen Bodentruppen im September.

 

"Die politisch militärischen Zielen, die die westlichen Regierungen und die Regierung Selenskyi mit den Waffenlieferungen bzw. den Forderungen nach immer mehr Waffen verbinden, diese politisch militärischen Ziele gehen kunterbunt durcheinander:

das Minimalziel von dem die Rede ist, es möge zu einem sogenannten militärischen Erschöpfungspakt kommen, bei dem beide Seiten keine relevanten Fortschritte mehr machen, aber auch keine relevanten Rückschläge mehr auf dem Schlachtfeld erleiden, und dann beide Seiten doch wohl zur Einsicht kommen, es bringt nichts mehr weiter zu kämpfen, und dann werden sich lokale Waffenruhen einstellen, zu einem landesweiten Waffenstillstand verdichten, und dann könne man ja auch über die politischen Fragen verhandeln. Wir sehen jetzt seit über sieben Monaten auf brutalste Weise, das nicht mal das funktioniert: In Bachmut findet seit 7 Monaten ein Stellungskrieg, verharmlosend oft Abnutzungskrieg, statt, der viele Ältere an die Schlachten des Ersten Weltkrieges erinnert, mit unglaublichen Opfern, Menschenopfern, aber auch unglaublichen Materialeinsatz. Und es kommt nicht zur Waffenruhe, und beide Seiten deklamieren ziemlich wortgleich die strategische Bedeutung diesen Ort zu erobern - also die Russen, bzw. diesen Ort zu verteidigen und zu halten - das ist die ukrainische Position.

Das weitergehende Ziel was formuliert wird ist, dass die ukrainischen Truppen die russischen Angreifer hinter die Linie vom 24. Februar letzten Jahres zurückdrängen, das ist wohlgemerkt völkerrechtlich ein völlig legitimes Ziel - damit ich da überhaupt nicht missverstanden werde. Ob es militärisch realistisch ist, ist eine ganz andere Frage.

Das noch weitere Ziel heißt, den gesamten Donbas militärisch zurückzuerobern, also auch jene Teile des Donbas, die schon vor Beginn des Krieges von russischstämmigen, ich nenn sie mal Milizen, kontrolliert wurden.

Das noch weitergehende Ziel heißt, die gesamte Krim militärisch zurückzuerobern. Diese beiden letztgenannten Ziele sind die offiziellen per Regierungsdekret festgelegten Ziele der Regierung Selenskyi und daran bemisst sie ihre Erwartungen und Forderungen nach Waffen und Munition an den Westen.

Frau Bärbock geht noch weiter und spricht davon, Russland müsse nieder gerungen oder ruiniert werden, und der amerikanische Pentagon-Chef Lloyd Austin sagt ,der Krieg müsse so lange geführt werden bis Russland niemals mehr in der Lage ist militärisch nach Außen zu agieren.

Solange es keine gemeinsame Haltung gibt des Westens, was denn nun das Ziel ist, bestimmt derjenige mit dem weitestgehenden Zielen und den daran orientierten Forderungen nach Waffen die internationale Debatte und alle anderen hecheln hinterher. Das erleben wir jetzt seit 14 Monaten. Und wenn das so weitergeht ist völlig klar und auch logisch innerhalb dieser Dynamik, dass wir spätestens im September die Forderung nach westlichen Bodentruppen haben."



Nicht gesehen wird die Überlegenheit Russlands mit, im Falle einer Zwangsmobilisierung, einem Potential von über 3,5 Millionen Männern. Putin wird keine Skrupel haben, sie einzusetzen.

Der Westen hat seine Kriegsziele oder Ziele zur Unterstützung der Ukraine verändert und erweitert. Nachdem die ursprünglich skeptisch negative Einschätzung der Ukrainischen Kräfte (Noch am 19. Februar 2022 wurde während der Münchner Sicherheitskonferenz ein Exil für Selenskyi plus Familie angeboten) durch Kriegserfolge in den ersten Kriegswochen korrigiert wurde. Ziel ist jetzt die Schwächung Russlands.

"Man hatte die Fähigkeit der russischen Angreifertruppen überschätzt und die Fähigkeit der ukrainischen Verteidigungsgruppen unterschätzt. Und in diesem Kontext haben zumindest die Regierungen Biden und damals noch Boris Johnson in London, das ursprünglich erklärte Kriegsziel, die Ukraine in ihrer legitimen Selbstverteidigung gegen diesen völkerrechtswidrigen Angriff zu unterstützen, dieses Ziel erweitert hin zu dem Ziel Russland nachhaltig zu schwächen. Das ist auch der Kontext oder der Mindset, zumindest in Washington und London, indem dann im März zwei, mehr oder weniger verheißungsvolle Bemühungen um Vermittlungen und Verhandlungen gescheitert sind."


Am 29. März 2022 gab es ein Treffen von Selenskyi und Putin in Istanbul: ein Verhandlungsversuch, an dem Selenskyi einen 10-Punkte-Plan vorlegte (Neutralität, Krim, keine fremden Militärstützpunkte)

"Der erste Punkt hieß: wir verzichten auf NATO-Mitgliedschaft.
Zweitens: wir wollen einen neutralen Status für unser Land.
Drittens: keine ausländischen Militärstützpunkte mehr, also weder russische noch NATO-westliche.
Viertens: wir brauchen aber verlässliche Sicherheitsgarantien einer Reihe von Staaten, die dann auch genanntwurden.
Fünftens: wir sind bereit den Territorialkoflikt über die Ukraine bis zu 15 Jahre einzufrieren, uns also bis zu 15 Jahre Zeit zu nehmen mit Russland, um eine Lösung auszuhandeln
Sechstens: Selenskyi wollte mit Putin über die Territorialfragen im Donbas verhandeln.
ein Paket, wo viele BeobachterInnen gedacht haben: das wäre ja was wo Putin unter Gesichtswahrung, was immer wichtiger wird, aus diesem Krieg hätte aussteigen können (...)"


Am 9.4.2022 reiste der brit. Premierminister Borris Johnson in die Ukraine, die Verhandlungen scheiterten. Der damilige israelische Premierminister Naftali Bennett hat in einem YouTube-Interview vom 5.2.2023 ausführlich über die Verhandlungen berichtet, am Ende sind sie gescheitert.

"Da schildert Naftali Bennet im Detail: einmal wie er im November 2021 in Sotschi 3 Tage bei Putin war und einen Draht hergestellt hat. Und wie Selenskyi ihn dann Anfang März letzten Jahres angerufen hat und gesagt hat: bitte stelle eine Verbindung zu Putin her, ich möchte verhandeln. Und Naftali Bennet schildert dann sehr ausführlich warum das gescheitert ist. Und er sagt ganz klar: wichtige westliche Regierungen wollten es nicht."

Seitdem herrscht Siegesrhetorik.

"Dann kommt der September letzten Jahres, wo die ukrainischen Streitkräfte einige, damals als spektakulär empfundene, militärische Rückeroberungserfolge haben -Sie erinnern sich. Das hat die Hoffnung, ich nenne es die Illusion, geschürt dieser Krieg sei militärisch zu gewinnen für die Ukraine. Und seit November letzten Jahres hören wir zunehmend skeptische Stimmen von führenden Militärs, darunter dem US-amerikanischen Oberbefehlshaber aber auch von zum Teil ehemaligen, zum Teil noch aktiven hohen deutschen Militärs. Skeptisch in der Einschätzung, die alle sagen das ist nicht militärisch zu entscheiden, das kann nur am Verhandlungstisch beendet und entschieden werden."


Wenn das so weitergeht in der bisherigen Dynamik, drohen zwei Worstcase-Szenarien:

1. Es droht ein sehr langer Stellungskrieg mit verheerenden Verlusten, vielen Zerstörungen (wie seit 7 Monaten in Bachmut, davon sind vielleicht noch 10% der Gebäude erhalten, über 95% der Bevölkerung sind weg. Die Verbliebenen leben in irgendwelchen Kellern). Die Frage stellt sich, was ist da eigentlich noch zu verteidigen? Und Putin gewinnt schließlich doch noch, nimmt den Donbas, mit seinem hohen Anteil an russischstämmiger Bevölkerung und der ukrainischen Industrie, nimmt den Küstenstreifen bis zum Asowschen Meer ein, um der Ukraine den Zugang zum Meer zu nehmen.

2. Putin fühlt sich durch Waffenlieferungen des Westens in die Ecke gedrängt (in die er sich selbst hineinbegeben hat) und greift zu taktischen Atomwaffen.


Für ein Ende des Krieges braucht es einen Waffenstillstand – keinen Kapitulationsfrieden mit Vorgaben für die Regierung Selenskyi. Waffenstillstand und Verhandlungen heißt nicht, der Ukraine Vorschläge zu machen, worüber verhandelt werden soll.



Die Debatte in den USA verändert sich, die Zahl von Militärs und Geheimdienstlern wird größer, die die bisherigen Kriegsziele für unrealistisch halten. US-Außenminister Antony Blinken deutete an, dass sich die Ukraine daran gewöhnen müsse, territoriale Zugeständnisse zu machen.

 


Notwendige Voraussetzungen für Verhandlungen sind relevante Akteure, die Verantwortung wahrnehmen:

• Eine Einwirkung auf Putin kann aus dem globalen Süden kommen: Regierungschefs und -chefinnen derjenigen Länder des globalen Südens, die am meisten unter den globalen Auswirkungen des Krieges leiden: Ägypten, Brasilien, Indien, Indonesien, Südafrika.

• Zweite und vielleicht wichtigerer Einflussakteur auf Putin ist China. China hat sich bei UNO-Abstimmungen enthalten, liefert den Russen weder Waffen noch HighTech-Ersatzteile, die Russland durch die westlichen Sanktionen fehlen, und warnt vor dem Einsatz nuklearer Waffen. Chinas Interesse liegt im Erhalt der Lieferhandelsketten und Absatzmärkte (auch USA und Europa)

• Einfluss der westlichen Staaten auf Selenskyi:
Westliche Staaten müssen sich auf ein Kriegsziel einigen, um Selenskyis Forderungen zu begrenzen und die Bereitschaft Selenskyis fordern, mit Putin zu reden. (Im Vietnamkrieg gab es Gespräche. Auch Nordkorea hat mit Südkorea geredet, der bosnische Präsident hat mit Serbien und den Aufständischen geredet)
Vorbedingung für Verhandlungen ist ein eindeutiges Signal aus den USA an Moskau: der Verzicht auf eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine, die seit 2008 seitens der USA aktiv betrieben worden war. (Im Abschlusscommuniqué des Gipfels von Bukarest 2008 steht der Satz „die Ukraine, Georgien, Moldawien werden NATO-Mitglieder werden“.)

Vorschlag zur Lösung der Krim-Frage: eine neue Volksabstimmung auf der Krim - diesmal organisiert von UNO und Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa - mit der zusätzlichen Wahlmöglichkeit über eine Autonomie innerhalb der Ukraine. Das ließe sich regeln über eine dezentralisierte Verwaltung. Voraussetzung ist ein einvernehmliches Verfahren für eine Statusveränderung. Eine Souveränität in einer Nation ist möglich.


Aktuelle Innenpolitsche Entwicklungen in den USA zeigen Chancen auf Verhandlungen um einen Waffenstillstand:
Die Republikaner mit Trump an der Spitze wollen aus dem Krieg raus, sie sagen, wir brauchen das Geld hier. Die Demokraten werden vermutlich im Laufe des kommenden Wahlkampfes „kalte Füße kriegen“ (dem Wählerwillen nachgeben), Biden sorgt für eine veränderte Haltung, und sagte öffentlich: Die Ukraine werde sich auf neue Grenzen einstellen müssen: alle Gebiete zurückzuerobern, die Russland heute kontrolliere - das werde ihr kaum gelingen.

Aktuelle Innenpolitische Entwicklungen in Russland:
Gibt es ein Russland ohne Putin? Der Krieg wird das Ende von Putin einläuten. Die Bevölkerung in Russland wird Russland verändern. Beispiel Tschetschenienkrieg, zunächst akzeptiert, am Ende, wegen der viele Toten, gab es Demonstrationen. Damals sind Soldaten-Witwen und -Mütter und deren Töchter, zumindest in den größeren Städten Moskau, Sankt Petersburg u.s.w., auf die Straße gegangen und haben demonstriert. Das wird vermutlich in weitaus größerem Ausmaß wieder passieren und die Gesellschaft verändern.


Bausteine zu einer veränderten Atmosphäre, einer zukünftigen Sicherheitsordnung mit Russland

- die Beziehungen zu Russland wieder herstellen, den Austausch auf ziviler Ebene: Städtepartnerschaften, kultureller Austausch, Studierendenaustausch, Wissenschaften. Es könnte eine Aufgabe der Friedensbewegung sein, neue Netze zu knüpfen.

- Rüstungskontrolle und Rüstungsabbau

- das gemeinsame Interesse am Erreichen der Klimaziele nutzen, um Russland zu helfen, aus der Abhängigkeit von fossilen Energien herauszukommen:
(80% der russischen Volkswirtschaft basieren auf fossilen Energien: Rausholen von Öl, Gas und Kohle aus dem Boden, Verarbeitung im Lande, ProKopf-Verbrauch, der ist in Russland etwa doppelt so hoch wie bei uns), eine ökologisch nachhaltige enge Kooperation mit dem Ziel, grünen Wasserstoff herzustellen und zu exportieren. Die Bedingungen sind in Russland gut, im Süden gibt es genügend Sonne für Solarenergie, in Sibirien genügend Wind für die Windenergie. Das Know-How der Ingenieure könnten wir liefern.


"Ich weiß, sehe auf einigen Gesichtern, die denken jetzt der Zumach ist naiv. Nein das bin ich nicht, ich weiß natürlich dass es für solche Ideen und Projekte im Moment, auf der Ebene der Regierung Putin in Moskau, wahrscheinlich keine Ansprechpartner gibt, das ist mir auch klar. Aber ich weiß auch dass es in Russland Millionen von Menschen gibt, die das Problem der globalen Erwärmung genauso als Problem und Herausforderung wahrnehmen wie wir. Das kann sich nur nicht so öffentlich äußern wie bei uns ,durch Demonstration von FridaysforFuture u.s.w. aufgrund der massiven innnerstaatlichen Repressionen in Russland.
Aber wir sollten wissen, es gibt diese Sorgen und auch diese Kenntnisse über den Klimawandel in Russland auch. Und es gibt auch kluge Ingenieure und Ingenieurinnen, die heute schon auf solche Ideen und Projekte einer ökologischen nachhaltigen Energiekooperation ansprechbar wären. Und ich finde man sollte versuchen das jetzt schon einzufädeln und nicht erst darauf warten - irgendwann bis der Putin irgendwann nicht mehr Präsident Russland ist."


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Aus der Diskussion:

Publikum: Ist eine führende Rolle der UNO bei Friedensgesprächen denkbar?

Zumach:
"Also vorstellen kann ich mir sehr viel. Nein, das Problem ist nur Folgendes, das fängt ja damit an: stellen wir uns mal vor: dieser Konflikt, der jetzt mindestens seit 2014 für uns offensichtlich gärt und eskaliert, zwischen Russland und Ukraine, hätte gespielt zwischen Argentinien und Chile. Da wäre doch sehr bald der Ruf erschollen: da muss jetzt der UNO-Generalsekretär sich einmischen, einen Vermittler schicken und Sonderbeauftragten, Angebote machen zur Vermittlung, möglicherweise sogar UNO-Beobachter, bewaffnete, unbewaffnete, oder gar Blauhelme hinschicken.

Warum ist das seit Beginn des Ukraine-Russlands Konfliktes nie passiert? Weil wir in Europa die Anmaßung zugespitzt haben, zu glauben, mit all den schönen Institutionen und Normen die wir uns seit Ende des Zweiten Weltkriegs geschaffen haben, also die gesamteuropäische OSZE, wo alle Mitglied sind, die teileuropäische Union und Europäischer Gerichtshof, eine Europäische Menschenrechtskonvention die sogar noch weitergeht als die von der UNO. Der Glaube wir bräuchten die UNO für sowas nicht, wir könnten Konflikte auf unserem europäischen Instrumenten lösen, das ist schon mal kräftig schief gegangen Anfang der 90er Jahre, als man dachte man kriegt den Jugoslawien-Konflikt so gelöst und brauchte letzten Endes doch die UNO. In diesem Fall hat man frühzeitig die europäischen Instrumente versucht.

Man hat nach dem Beginn der bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen im Donbas die OSZE zusammengerufen hat gesagt: da müssen wir jetzt Beobachter hinschicken. Richtige Idee. Jetzt kommen wir zu meinen ganz ersten Äußerungen heute: die zivilen Mittel, wenn damals die OSZE mit immerhin 57 Mitgliedsstaaten gesagt hätte, wir sind in der Lage innerhalb der nächsten vier Wochen 4000 gut geschulte zivile BeobachterInnen in dieses Gebiet zu schicken, dann hätte das eine deeskalierende Wirkung haben können. Ist aber nicht so, weil man hat die OSZE am langen ausgestreckten Arm verhungern lassen. Nach 3 Monaten Beratung hat man 256 BeobachterInnen aufgebracht und dahin geschickt, ist lächerlich.

Dann hat man festgestellt, als Problem, es kommen immer noch grüne Männchen, also russische Soldaten in Zivil und Waffen über die russisch-ukrainische Grenze. Da hat man wieder beraten, jetzt sind wir im Jahr 2015: was machen wir? Und dann hat die OSZE gesagt: da müssen wir Grenzbeobachter hinstellen. Richtige Idee. Wieviel hat man schließlich zusammengekriegt? 16 für eine 2200 km lange Grenze. Das ist ein schlechter Witz.

Das ist genau dieses fehlender, nicht entwickelten, nicht hergestellten zivilen Mittel, die man braucht um Frieden zu schaffen ohne Waffen. So und jetzt sind wir wieder an dem Punkt, das ist klar, es müsste die UNO machen. Nur wer ist die UNO? Die UNO sind ihre Mitgliedstaaten. Und da gibt‘s manchmal einen Generalsekretär der mehr Mut hat, und ich habe dem Gueterres den ich kenne ,schon lange gesagt und anderen auch: reise endlich nach Moskau, auch auf das Risiko des Scheiterns hin, sowie Kofi Anan in den 2000er Jahren nach Bagdhad gefahren ist zu Saddam Hussein, ohne Unterstützung der Amerikaner - ist auch gescheitert, aber er hat es versucht - das hätte Gueterres längst machen müssen, wie gesagt unter Mitnahme der Regierungschefs und -chefinnen wichtiger Mitgliedsländer der UNO, die auch dann vielleicht die Vermittlerrolle spielen können, weil sie wie Brasilien und Südafrika, Indonesien, keine unmittelbaren Interessen in diesem Konflikt haben. Ja, das ist überfällig.

Die UNO-Generalversammlung hätte so die Möglichkeiten aufzuzeigen, nachdem im Sicherheitsrat am 24. Februar letzten Jahres ja Russland die Resolution durch Veto verhinderte. In der Generalversammlung war die Verurteilungsresolution beschlossen mit 141 Stimmen. Soweit so gut, aber theoretisch hätte die UNO-Generalversammlung mehr machen können. Auch die UNO-Generalversammlung hätte dann Sanktionen verhängen können. Hat sie nicht getan, weil es dazu die politische Bereitschaft nicht gab.

Da gucken Sie sich mal an welche von den 141 Staaten, die den Krieg zumindest verurteilt haben, und Putin zum Rückzug der Truppen aufgefordert haben, wie viele davon darüber hinaus irgendwelche konkreten Maßnahmen unterstützen. Sei es auch nur humanitäre Unterstützung für die ukrainische Zivilbevölkerung. Das sind gerade mal 40 Staaten: die 33 Mitgliedstaaten von NATO und EU plus 6 oder 7 Verbündete wie Australien, Japan, Südkorea. Das ist die reale politische Lage.

1950 im Koreakrieg hatten wir eine ähnliche Situation: der Sicherheitsrat war blockiert, durch Veto, Veto-Androhung, durch den Boykott des sowjetischen Botschafters damals, und deswegen hat der Sicherheitsrat seine oberste Aufgabe, die ihm zugeschrieben ist, Bewahrung und Wiederherstellung des Friedens und der internationalen Ordnung, das ist die Kernaufgabe des Sicherheitsrates in der Charta, der UNO-Charta, hat er nicht wahrnehmen können. Und damals entstand aus der Generalversammlung von einigen Staaten angestoßen, die Initiative. (...) Wenn der Sicherheitsrat seinen Job nicht tut, dann ziehen wir das an uns. Und da entstand die Resolution „Uniting for peace“ also gemeinsam für den Frieden und damals hat die Generalversammlung gehandelt, sie hat sogar UNO-Truppen in diesen Konflikt geschickt. Also theoretisch wäre das alles möglich, aber es ist abhängig von dem politischen Willen der Mitgliedsstaaten." 



10-Punkteplan-Inhalt
https://neue-entspannungspolitik.berlin/wp-content/uploads/2022/10/2022-03-29.-10-Punkte-Plan-der-Ukraine-DE-1-1.pdf

das über 4-stündige Interview von Naftali Bennet auf dessen Youtube-Kanal am 4.2.2023 -angebotene Untertitel auf US-Englisch, Hebräisch, Russisch
https://youtu.be/qK9tLDeWBzs?t=8989

Meldung dazu in Berliner Zeitung am 6.2.2023
https://www.berliner-zeitung.de/open-source/naftali-bennett-wollte-den-frieden-zwischen-ukraine-und-russland-wer-hat-blockiert-li.314871
und auf telepolis am 4.2.2023
https://www.telepolis.de/features/Ukraine-Vermittler-Bennett-ueber-die-Friedensblockade-des-Westens-7488161.html

und korrigierender Artikel dazu aufgrund besserer Übersetzung (von wg. Ausdruck "blockieren" der Verhandlungen)
https://correctiv.org/faktencheck/hintergrund/2023/03/30/hat-der-westen-einen-waffenstillstand-in-der-ukraine-blockiert-interview-mit-naftali-bennet-irrefuehrend-untertitelt/'

Zeitenwende-Rede vom 27.2.2022 Olaf Scholz
https://www.bundesregierung.de/breg-de/aktuelles/regierungserklaerung-von-bundeskanzler-olaf-scholz-am-27-februar-2022-2008356

Videomitschnitt des Vortrages und der Diskussion https://www.youtube.com/watch?v=h0A-7r_Az2k